Interessant oder alarmierend?
In jedem Fall zeigt es auf, wie unterschiedlich Aktionen der Hersteller bewertet werden.
Aber auch wie gefährlich irgendwelche Schlussfolgerungen, egal ob für Opel, BMW, oder ... sind.
Quelle für nachfolgenden Artikel:
http://www.welt.de/wirtschaft/…-sind-deutsche-Autos.html
Alles anzeigenVerschlusssache Flensburg. Wie gut sind deutsche Autos?
Wie oft war eine Automarke von Rückrufen betroffen? Die Antwort auf diese Frage war bisher in Deutschland geheim. Nun wurden die Behörden zur Herausgabe gezwungen. Die Ergebnisse überraschen.
Sie fahren einen BMW? Oder lieben zumindest die Autos der Bayerischen Motorenwerke? Verständlich. Das sind schöne, komfortable, sportliche Automobile. Wer eines besitzt, zeigt, dass er sich was leisten kann, außerdem fällt was ab vom Siegerimage der Münchner.
Denn BMW ist das Maß der Dinge unter den Premiumautobauern. Keiner in dieser Liga verkauft weltweit so viele Oberklasseautos, keiner schafft damit so atemberaubende Gewinnspannen, die Kennzahl für Effektivität. Doch so perfekt wie sie aussieht, ist die BMW-Welt nicht.
Denn der Autobauer hat ein Qualitätsproblem. Die Zahl der Rückrufe ist hoch, alarmierend hoch. 938.477 Autos wurden insgesamt im ersten Halbjahr 2015 in ganz Deutschland in die Werkstätten zurückbeordert – darunter waren 403.339 Modelle der Marke BMW.
Probleme bei den Airbags, bei Gelenkscheiben oder der Kraftstofffilterheizung waren vor allem die Gründe dafür. Das geht aus einer Aufstellung des Bundesverkehrsministeriums hervor, das sich auf Daten des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) beruft.
Bisher gab es keine Markenliste
Doch die eigentliche Überraschung dieser Liste ist nicht in erster Linie das schlechte Abschneiden der Münchner – sondern die Tatsache, dass es diese Auflistung überhaupt gibt. Das KBA in Flensburg führt zwar akribisch Buch über Zulassungen, Punktestand und jede Rückrufaktion. Doch die Aufschlüsselung nach Marken ist Verschlusssache. Und das soll nach Meinung der Behörde so bleiben.
"Wir werden bei den Rückrufen auch in Zukunft keine Marken ausweisen. Solche ,Hitlisten' verzerren das Bild, sie bringen den Kunden nichts", sagt ein Sprecher. In den USA sieht man das anders. Dort stellen die Behörden alle Rückrufe samt den betroffenen Marken und deren Modellen sowie den jeweiligen Problemen ins Internet. Und die US-Bürger schauen sich die Aufstellungen sehr genau an. Gut möglich, dass das ihr Kaufverhalten beeinflusst.
Die Übersicht der Rückrufe in Deutschland samt Übersicht der Marken wurde dem KBA abgetrotzt. Der Grünen-Politiker Markus Tressel hatte eine Anfrage an das Bundesverkehrsministerium zu diesem Thema gestellt, auf die man antworten musste. Denn Tressel ist Bundestagsabgeordneter.
Das Fazit: Die Zahl der zurückgerufenen Autos im ersten Halbjahr ist mit knapp 940.000 ziemlich hoch. 2013 lag der Wert laut Kraftfahrt-Bundesamt bei etwa 770.000. Im ganzen Jahr. Daraus könnte man schließen, dass die Qualitätsprobleme der Autobauer zunehmen.
Ministerium ist unglücklich
Erkenntnis Nummer zwei: Die gerade hierzulande vielgepriesenen deutschen Autobauer schneiden nicht besonders gut ab. Der Fall BMW wurde bereits geschildert, Mercedes kam auf insgesamt 21.764 Pkw, die in die Werkstätten zurückbeordert werden mussten, Opel auf 77.848. Fiat dagegen, beim Thema Qualität meist unter Verdacht, musste nur 1209 Autos zurückrufen, Citroën 1893, Hyundai kein einziges. Ähnlich gut liegt nur Volkswagen mit sage und schreibe gerade mal 138 Autos, die in die Werkstätten mussten.
Im KBA wie im Ministerium ist man mit der Liste mehr als unglücklich. "Es wird darauf hingewiesen, dass die Rückrufzahl ... nicht geeignet ist, um Hersteller sachgerecht miteinander zu vergleichen", teilte Staatssekretärin Dorothee Bär dem grünen Bundestagsabgeordneten Tressel am Ende des Berichts mit.
Hakt man im Ministerium nach, erfährt man, dass "Problemrankings" wie die Rückrufliste "das Vertrauensverhältnis von Kunden und Herstellern stören" würden. "Das schadet dem Image, gerade dem unserer deutschen Hersteller", gibt ein Ministerialer unumwunden zu. Sind die also gar nicht so gut, wie es landläufig die Meinung ist?
Beim Kraftfahrt-Bundesamt sind die Töne ähnlich. "Rückruflisten, die nach Marken aufgeschlüsselt sind, steigern nicht die Vergleichbarkeit, sie sind reißerisch. Es ist einfach haarsträubender Unsinn, BMW auf Grundlage einer solchen Aufstellung als Buhmann der Branche hin- und chronische Qualitätsprobleme zu unterstellen", erklärt der KBA-Sprecher.
Anderes System in den USA!
Was in den Tabellen nicht berücksichtigt werde, sei die Gesamtzahl verkaufter Autos eines Herstellers, heißt es. Dass beispielsweise der Italo-Autobauer Abarth (Fiat) weniger Rückrufe (16 Autos) habe als BMW, liege auf der Hand.
Die Münchner würden auch ein Vielfaches an Fahrzeugen verkaufen. Zudem sei das Hauptproblem von BMW ein Airbag der Firma Takata, ein Hersteller, der Autobauer weltweit beliefere und mit dessen Produkten es in Europa noch nicht ein Problem gegeben habe.
Zuletzt verbiete sich ein Vergleich mit den USA und der dortigen Praxis, zurückgerufene Marken beim Namen zu nennen, mit dem hierzulande gängigen Verfahren völlig, so der KBA-Sprecher. "Wer das tut, hat die unterschiedlichen Systeme in Deutschland und den USA nicht verstanden."
Hier würden die Typenprüfungen, also die Erstkontrollen von Bauteilen, von Anfang an durch die Behörden begleitet – bis zur Abnahme des gesamten Autos. In den USA sind die Hersteller für die Kontrollprozesse selbst zuständig. Und landeten damit zu Recht samt ihrer Marken in der Öffentlichkeit, wenn sich ein Bauteil als fehlerhaft erweise.
So denkt man im KBA und Bundesverkehrsministerium. Aber warum sollte ein Vergleich der Marken bei Rückrufen trotz der Systemunterschiede nicht dennoch die Transparenz erhöhen? "Wir fordern schon lange, dass wir auch in Deutschland auf alle Daten bei Rückrufen zurückgreifen können, auch auf die Marken.
Die Verbraucher sollten wissen, welche Marke wie oft betroffen ist", sagt Stefan Bratzel, Chef des Centers of Automotive Management (CAM) an der Wirtschafts-FH in Bergisch Gladbach. "Die Schlüsse, die sie daraus ziehen, sind doch Sache der Kunden."
Das Takata-Problem
Natürlich ist ein einmaliger Bericht über Rückrufaktionen nicht aussagekräftig. Und das schon gar nicht, wenn er nur ein halbes Jahr umfasst. Da kann ein Hersteller wie BMW, der gerade in dieser Zeit von den weltweiten Problemen mit Takata-Airbags betroffen ist, schon mal besonders schlecht abschneiden.
Aber umso mehr sei es nötig, dass die Rückrufzahlen samt Marken regelmäßig erhoben würden, sagt Bratzel. Und was das Takata-Problem angehe, sei eindeutig der Hersteller in der Pflicht: "Egal, was sich ein Zulieferer leistet: Am Ende muss der Automobilhersteller dafür sorgen, dass das Fahrzeug einwandfrei ist."
Und das gelingt BMW abgesehen von der Momentaufnahme des Halbjahresberichts für dieses Jahr offenbar zuletzt nicht wirklich gut. Beispiel USA: Dort errechnete das CAM für 2014 eine Rückrufquote der Münchner von 227 Prozent. Das heißt, es mussten dort im vergangenen Jahr 2,27-mal so viele Autos in die Werkstätten beordert werden, als von BMW in diesem Jahr neu zugelassen wurden.
Insgesamt mussten fast 900.000 Fahrzeuge des Premiumherstellers in die US-Werkstätten. Mit über 700.000 Rückrufen entfiel dabei ein Großteil auf untaugliche Airbags, die in Modellen der 3er-Baureihe eingebaut waren. Ein großer Rückruf über verschiedene Modelle betraf in 2014 auch den Motorbereich. Dort bestand die Gefahr, dass Schrauben am Nockenwellensteller nachgeben und so Motorschäden entstehen.
Milliardenbelastung für GM
Im Vergleich zu GM sind die Zahlen von BMW allerdings Peanuts. Der Opel-Mutterkonzern kam 2014 auf dem Heimatmarkt auf eine sagenhaft hohe Rückrufquote von 912 Prozent. Das ist dem Debakel mit defekten Zündschlössern geschuldet, das nach Unternehmensangaben bislang 124 Tote gefordert hat.
GM muss nun Millionenentschädigungen zahlen und Milliarden zur Behebung des Problems sowie für Strafzahlungen zurückstellen. Aber BMW kommt im US-Ranking der Rückrufaktion auf Platz sieben – nach GM und FiatChrysler und einigen japanischen Herstellern.
Und auch in Deutschland fallen die Münchner damit auf, viele Autos in die Werkstätten zu rufen. Laut CAM lag die Rückrufquote von BMW hierzulande 2014 bei 159 Prozent, Platz fünf nach Subaru, Land Rover, Toyota und Honda. Auch hier ist das Airbagproblem die Ursache für das mäßige Abschneiden.
Aber die jünsten Rankings sind keine Momentaufnahme. "Uns ist BMW bereits seit einiger Zeit aufgrund hoher Rückrufzahlen aufgefallen", sagt Bratzel. Er will nicht von einem einmaligen Ausrutscher sprechen. Bei BMW verweist man darauf, dass bei zurückliegenden Rückrufaktionen vor allem ältere Modelle betroffen waren.
"Insgesamt muss man sagen, dass die Qualität der Autos steigt, dass Autos noch nie so sicher waren", sagt Bratzel. Aber die Vielzahl technischer Systeme in modernen Pkw mache die Fahrzeuge eben anfälliger. Und da Autos zunehmend global verkauft, auf globalen Plattformen gebaut und von global agierenden Zulieferern bestückt würden, könne ein fehlerhaftes Teil zigtausendfache Rückrufe auslösen.
Jedes Land reagiert anders
Zudem steigt der Druck der Autobauer auf ihre Zulieferer. Die sollen in immer kürzerer Zeit zu immer geringeren Preisen Neuentwicklungen liefern. Wer das nicht schafft, wird ausgelistet. Einer jüngsten Umfrage von CAM zufolge stimmen 54 Prozent der Automobilzulieferer der Aussage zu, dass ein weiter steigender Kostendruck durch die Automobilhersteller die Existenz des eigenen Unternehmens nachhaltig gefährdet. Zwei Drittel der Unternehmen glauben, dass ein preisgetriebener Einkauf zwangsläufig zu Qualitätsproblemen führt.
Kein Wunder daher, dass die Zahl der Aktionen, bei denen Autos in die Werkstätten zurückbeordert werden, steigt. Das ist in den USA so, in Deutschland und inzwischen auch in China, wie Zahlen von CAM belegen.
Was Experten dabei vor allem beunruhigt, sei die Tatsache, dass jedes Land auf Probleme bei der Technik von Autos anders reagiere. Einige Beispiele: Schadhafte Kabel der Rückleuchten bei der C-Klasse von Mercedes hatten 2014 zu Rückrufen in den USA geführt, nicht aber in Deutschland oder Großbritannien.
Nur die Spitze des Eisbergs
Obwohl es sich um dasselbe Problem gehandelt hatte. Oder Smarts Fortwo hatten zwar wegen schadhafter Keilriemen in China und Japan in die Werkstätten gemusst, nicht aber in Deutschland oder Großbritannien.
Eine mangelhafte Abdichtung der Motorhaube des Opel Corsa führte zu Rückrufen in Deutschland, aber nicht in Großbritannien. Probleme bei den Hinterachsen von VW-Modellen sorgten dafür, dass in den USA oder Deutschland die Autos zu den Händlern beordert wurden, in Großbritannien dagegen nicht. Offenbar sind die Kriterien, wann ein Auto in die Werkstatt muss, subjektiv.
CAM-Chef Bratzel sagt aber auch, dass die Rückrufaktionen nur die Spitze des Eisbergs seien. Nur etwa ein Siebtel der Fälle werde bekannt, der Rest werde häufig eher klammheimlich durchgeführt – etwa wenn im Rahmen des Routinechecks eines Autos ein Teil ausgewechselt oder die Software aktualisiert wird, dafür dem Kunden aber nichts berechnet wird.